Seit 1928 wird die textile Tradition fortgeschrieben


Die Entstehung des Unternehmens geht auf Umbrüche Anfangs der 1920-er Jahre zurück. Die bäuerlich geprägte Bergbevölkerung war damals wirtschaftlich so sehr in Not, dass sie dringend nach Nebenverdiensten suchte. Initiative Köpfe besannen sich auf die ursprünglich, in den vorherigen Jahrhunderten, regional weit verbreitete Heimarbeit bzw. Heimweberei.

Ehepaar im Webkeller um 1830
(Foto: Grafische Sammlung ETH, Zürich)
Heimarbeit in einem typischen Webkeller von 1830. Lehmböden boten in den kühl und feucht gehaltenen Räumen der regionaltypischen Flarzhäuser gute Bedingungen, um das selbst angebaute Leinen-Garn zu verarbeiten.
Heimweberei

Hausweberei in Ulm, um 1780. Die anfängliche Vorherrschaft der männlichen Weber, lange durch die Zünfte reguliert, wandelte sich mit der Zeit, zu einer heute überwiegend weiblichen Profession.
Hausweberei in Ulm um 1780
(Bild: Archiv GHHZO)

Hausweberei um 1867 nach einem Stich von Gocht
(Bild: Archiv GHHZO)

Hausweberei nach einem Stich von Gocht, um 1867. Der Miteinbezug der ganzen Familie wird auf dieser Darstellung idealtypisch dargestellt. Während durch neue Fabrikgesetze, die Kinderarbeit in industriellen Betrieben geregelt wurde, kämpfte man in der Heimarbeit noch bis ins 20. Jahrhundert mit Missständen.


Webstube Dietler, im 19. Jahrhundert. Die Arbeit in einer hellen und geheizten Stube war privilegiert. Weit häufiger wurde die Heimarbeit in Webkeller getätigt.

Webstube Dietler im 19. Jahrhundert
(Bild: Archiv GHHZO)

Webkeller im Zürcher Oberland Ende des 19. Jahrhunderts
(Bild: Die Schweiz (Illustrierte), 1902)
Webkeller, um die Jahrhundertwende, im Zürcher Oberland. Zur optimalen Verarbeitung des Garns wurden die Keller kühl und feucht gehalten, was zu weit verbreitetem Rheumatismus der Webersleute führte.

Die Darstellung dieser unbekannten «Handweberei im Zürcher Oberland», zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zeigt die manufakturmässige Produktion im Familienverbund. Neben dem Vater, der webt, ist der «Fergger» auf Hausbesuch. Er war der Mittler zwischen den Heimarbeitenden und den Auftraggebern.

Handweberei im Zürcher Oberland zu Beginn des 20. Jahrhunderts
(Bild: Archiv GHHZO)

1927 war die Sache spruchreif. Man organisierte in Steg (ZH) eine grosse Propaganda-Veranstaltung zur Förderung der Heimarbeit. Initiiert von Landwirt und Kantonsrat Jakob Wettstein, später erster Präsident der Genossenschaft, und mit aussergewöhnlich grosser Beteiligung von Frauen.

Deren Tatendrang und die bis ins Tal spürbare Aufbruchsstimmung der 20-er Jahre, führten wenige Zeit später zur Durchführung erster Webkurse in Fischenthal (ZH). Geleitet von Tochter Wettstein, die ihr Wissen dazu noch eiligst an der Kantonalen Frauenschule Chur erlangen musste.

Erster Webkurs der Handweberei Zürcher Oberland 1927
(Foto: Illustrierte Beilage Heimatspiegel, Wetzikon 1931)
1927: Erster Webkurs im Saal des Restaurants Schmittenbach. Kursleiterin Wettstein schrieb dazu:

«… der grosse Hirsch blieb Frl. Kündig die die schönen Stoffe mit den Borden meisterhaft verstand zu weben.»

Mit diesem unglaublichen Engagement gelang es ihnen 1928 an der SAFFA, der ersten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit in Bern, ihre Erzeugnisse mit Stolz zu präsentieren und das neu erlangte Können bereits am Webstuhl vorzuführen. Die positive Resonanz und die Nachfrage auf ihr Schaffen bestätigten die Frauen dermassen, dass sie noch im gleichen Jahr, mit der Gründung der Genossenschaft (GHHZO), aus diesem Erfolg ein Unternehmen schufen. Bereits wenige Jahre später arbeiteten über 70 Mitarbeitende für den Betrieb – überwiegend Frauen!


SAFFA-Turm an der gleichnamigen Ausstellung 1928 in Bern
(Foto: Archiv Institut gta)

Der wahrscheinlich für die Frauen prägendste, moderne Einfluss an der SAFFA 1928, ging von der Architektin Lux Guyer aus, welche die Gesamtkonzeption der Ausstellung entwickelte und mit den eigenen Bauten wegweisend war.


Wenig technische Raffinessen ihrer Webstühle und ein beschränkter Mitteleinsatz führte zu einfachsten Musterungen und Erzeugnissen, die jedoch in der Erscheinung genau den Zeitgeist trafen und guten Absatz fanden.

Auslage an der Handweberei Zürcher Oberland an der SAFFA in Bern, 1928
(Foto: Archiv GHHZO)
SAFFA 1928 in Bern

SAFFA 1828, Wagen zum Frauenstimmrecht
(Foto: Fotodokumentation Umzug, Archiv GHHZO)
«Die Fortschritte des Frauenstimmrechts in der Schweiz», so das Motto des Wagens vor dem Bundeshaus. Gezogen von gesetzteren Damen und bejubelt von Männern am Strassenrand. Beeindruckend, bis ins Tösstal – noch heute!

Unmittelbar nach den Aviatikerinnen, an der Spitze des Umzugs, folgte die Gegenüberstellung von alten und neuen Wohnformen. Die Moderne, und einhergehend neue Lebensmodelle, wurden bildhaft in Szene gesetzt!
SAFFA 1928, Wagen zu neuen Wohnweisen
(Foto: Fotodokumentation Umzug, Archiv GHHZO)

SAFFA 1828, Wagen zu neuen Möbeln
(Foto: Fotodokumentation Umzug, Archiv GHHZO)
Gleich im Anschluss der Wagen «Die neuen Möbel». Elektrische Haushaltshilfen oder aufkommende Fertigsuppen, eröffneten den Frauen neue Freiheiten. Beispielsweise zur Erwerbstätigkeit.

Nicht weniger modern, die damaligen Trachten! Viele davon eben erst neu geschaffen, wiesen jedoch mit gleicher Intensität, in eine ganz andere Richtung: Von offener Sachlichkeit zu nationaler Identifikation. Der Umzug der SAFFA wurde in Verbindung mit der Schweizerischen Trachtenvereinigung durchgeführt.
SAFFA 1928, Trachtenumzug
(Foto: Fotodokumentation Umzug, Archiv GHHZO)

Erste Geschäftsleiterin wurde Emilie Bruhin, die selbst an der SAFFA ausstellte und die darauffolgend 15 Jahre lang die Ausrichtung der Genossenschaft und der Handweberei prägte. Ein Höhepunkt ihrer Biografie war die zeitgleiche Ausstellung im Bereich «Handweberei» mit Gunta Sharon (-Stölzl), der ehemaligen Werkmeisterin der Weberei am Bauhaus, anlässlich der Schweizerischen Landesausstellung 1939 in Zürich.

Zürcher Oberländer Handweberin an der Landi 1939
(Foto: Eines Volkes Sein und Schaffen, Zürich 1939, S.73)
«Zürcher Oberländer Handweberin» aus dem Buch von Gottlieb Duttweiler zur Landi 1939. Es zeigt das Spannungsfeld der damaligen Zeit: Der Aufbruch der neuen Sachlichkeit wird zunehmend vom national geprägten Heimatstil abgelöst.
Bezug zu Gunta Stölzl

Bauhaus Ausweis von Gunta Stölzl, 1927
(Foto: Bauhausarchiv, Berlin)
Gunta Stölzl, 1897 in München geboren, geht 1919 ans Bauhaus in Weimar und wird dort ab 1927 erste «Meisterin». Zwischenzeitlich, 1924, richtet sie bei Johannes Itten in Herrliberg (ZH) für die Ontos-Werkstätten eine Handweberei ein.

Nach ihrem Weggang vom Bauhaus, 1931, übersiedelt sie in die Schweiz und führt in Zürich eine eigene Handweberei, die Kontakte ins Zürcher Oberland pflegte. Sie stirbt 1983 und findet in Küsnacht (ZH) ihre letzte Ruhe.

Sie gilt als Erneuerin der modernen Handweberei und prägt unser eigenes Schaffen bis heute.

Gunta Stölzl in ihrer «Handweberei Flora» in Zürich, 1960. Bis 1967 führt sie dieses Unternehmen, das sie ursprünglich 1931, u.a. zusammen mit Heinrich-Otto Hürlimann (S-P-H-Stoffe) gründete, nach dem sie das Bauhaus verlassen hatte.
Gunta Stadler-Stölzl in der Handweberei Flora, 1967
(Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Gunta Stölzl Stiftung)

Bauhausmeister/-in auf dem Dach in Dessau, 1926
(Foto: bauhaus 1919-1933, Verlag Taschen)
Die Bauhaus-Meister 1926 auf dem Dach des neuen Gebäudes in Dessau. Unter ihnen die einzige Frau mit diesem Status, Gunta Stölzl (2te v.r.), sie leitete die Weberei. Notabene die kommerziell erfolgreichste Abteilung der Institution.
Hören Sie zum Bild oben den Kurztext "Die gewebte Moderne" zu Gunta Stölzl's Leben  / Quelle: MDR


1927: Die Textilklasse in der Weberei des Bauhauses. Gunta Stölzl (2-te v.r.) war die prägende Kraft, welche den Weg von den bildhaften Einzelstücken der Anfänge, hin zum modernen, seriellen Industrieentwurf schaffte.
Textilklasse am Bauhaus mit Gunta Stölzl, 1927
(Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Gunta Stölzl Stiftung)

Bauhaus-Stoff aus der Textilklasse, 1927
(Foto: Weberei am Bauhaus, Bauhausarchiv, S. 36)
Ein Stoff aus dieser Zeit, gekennzeichnet mit einem Bauhaus-Signet. Zeichen eines einheitlichen Auftritts und Ausdruck des seriellen Gestaltungsgedankens. Gunta Stölzl erreichte diesen am Bauhaus u.a. mit dem «ineinandergreifen von Lehr- und Produktionswerkstatt», wie sie 1968 in der Zeitschrift «Werk» schrieb.

Die «Landi» war dadurch Höhepunkt eines weiteren, für die Genossenschaft prägenden Umbruchs dieser Zeit: Die Erstarkung der Trachtenbewegung. Durch sie wurden viele historische Trachten überarbeitet bzw. erneuert, was zu einem grossen Bedarf an handgewobenen Stoffen führte. Viele dieser neuen Stoffe für Zürcher Trachten, in den 30-er Jahren tausende Meter pro Jahr, kamen aus Bauma.

Trachtenhof an der Landesausstellung in Zürich, 1939
(Foto: Die Schweiz im Spiegel der Landesausstellung, Atlantis Verlag, Zürich 1939, S. 633)
Der Trachtenhof an der Landi 1939. Die Tracht wurde für «alle Lebenslagen» propagiert und entsprechend vielfältige Modelle geschaffen. Einige dieser Original-Puppen werden in unserem Trachtenkeller noch heute verwendet.

Ein wichtiger Absatzkanal dieser Stoffe und weiterer Erzeugnisse war ab 1930 das Schweizer Heimatwerk in Zürich, welches eng mit der 1926 gegründeten Schweizer Trachtenvereinigung und der Genossenschaft GHHZO in Verbindung stand. Dadurch wurde das Trachtenwesen, in dieser Konstellation, bis in die 90-er Jahre zum wichtigen, wirtschaftlichen Standbein der Genossenschaft.

Gottlieb Duttweiler schrieb zum Beitrag des Schweizer Heimatwerks an der Landesausstellung 1939 folgendes:

«Mit grosser Liebe und handwerklicher Hingabe wurde der Sinn für das Echte und Heimatliche wieder geweckt. Es ist gelungen, die Tracht mit dem Nimbus des Wertvollen zu umgeben und zu neuem Ansehen zu bringen. »
Trachtenhof an der Landesausstellung in Zürich, 1939
(Foto: Eines Volkes Sein und Schaffen, Zürich 1939, S.72)
Kontakt zu Gottlieb Duttweiler

Portraitbild von Gottlieb Duttweiler
(Foto: MGB-Archiv, Zürich)
Gottlieb Duttweiler (1888-1962) gründete 1925 in Zürich die «Migros», heute der grösste, private Arbeitgeber der Schweiz. Duttweiler war mit seinen Ideen und selbst erhobenen Standards eine moralische Instanz, die bis heute Gültigkeit hat.
Nach der Ausstellung schrieb Duttweiler in seinem Buch zur Landi unter das Bild einer unserer Heimarbeiterinnen, stellvertretend und in bester Absicht: «Denen gilt es den Lohn zu heben». Daraufhin witterte man unserseits Verwechslungsgefahr, weshalb man auf Duttweiler zuging und ihn nach Bauma einlud …

Brief von Gottlieb Duttweiler an das Heimatwerk
(Foto: Archiv GHHZO)
Fortsetzung folgt